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Termin

Wöchentlicher Online-Lesekreis zu Immanuel Kants "Kritik der reinen Vernunft"

Online-Kurs des GI Hannover
montags 19:30-21:00 Uhr via Zoom
Beginn: 21. Oktober 2024

Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft [KrV] (1781/1787) kann ohne Übertreibung als das einflussreichste philosophische Werk der Moderne angesehen werden. Kant beansprucht den jahrhundertealten Schulstreit der Rationalisten und Empiristen, die beide jeweils für sich mit ihren erkenntnistheoretischen Prinzipien kein sicheres Fundament (philosophischen) Wissens begründen konnten, transzendentalphilosophisch zu vermitteln. Die Transzendentalphilosophie fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis und setzt die Wirklichkeit derselben voraus. Im 18. Jahrhundert hatte die Physik auf Grundlage der Newtonschen Mechanik bereits bahnbrechende einzelwissenschaftliche Fortschritte erzielt. Kant bescheinigt ihr neben der Mathematik den „sicheren Gang einer Wissenschaft“ (KrV, B XV), den es nun auch endlich für die Philosophie und Metaphysik zu beschreiten gelte.

Bekannt sein dürfte die Kritik der reinen Vernunft insbesondere für die sog. kopernikanische Wende, die Kant in ihr vollzieht, indem er die gegenständliche Erkenntnis metaphysikkritisch restringiert auf die durch das Subjekt konstituierte Welt der Erscheinungen:

„Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnismüsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche,über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurchunsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte. Man versuche es daher einmal, ob wirnicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nachunserem Erkenntnis richten.“ (KrV, B XVI)

Demnach sind nur solche Gegenstände unserem Erkenntnisvermögen zugänglich, die gemäß den reinen Anschauungsformen in Raum und Zeit sind und sich kategorial den reinen Verstandesbegriffen fügen. Positivistische Kant-Interpreten aus der Tradition der analytischen Philosophie, die sich vorrangig und selektiv auf die erste Abteilung des ersten Hauptteils der KrV, die transzendentale Analytik, mit ihren apriorischen Bestimmungen der Sinnlichkeit (transzendentale Ästhetik) wie des Verstandes (transzendentale Logik) beziehen, haben daraus den (interessierten) Schluss gezogen, dass nach Kant Erkenntnis unweigerlich auf den Bereich des Endlichen beschränkt bleiben müsse. Sie vernachlässigen die materialreiche und verwickelte zweite Abteilung des ersten Hauptteils, die transzendentale Dialektik, die sich dem Begriff des Unbedingten widmet und dem Vermögen, das diesen Begriff inhaltlich zu bestimmen versucht – die reine Vernunft. Während den Vertretern dieser Richtung die Dialektik als zu überwindender metaphysischer Restbestand bei Kant gilt, soll sie gerade deshalb für unseren Lesekreis von besonderem Interesse sein. Wir wollen diskutieren und problematisieren, warum Kant die Dialektik als eine „Logik des Scheins“ (KrV, B 86, 350 u.a.) bezeichnet. Ebenfalls stiefmütterlich behandelt wird oftmals der komplette zweite Hauptteil der KrV, die transzendentale Methodenlehre, in der Kant die zuvor unternommene Trennung von theoretischer und praktischer Vernunft bereits wieder unterläuft, indem er Gegenstände wie das Ideal des höchsten Guts thematisiert.

Abschließend möchten wir als Leiter des Lesekreises unser Erkenntnisinteresse, das ganz im Sinne Kants kein politisch neutrales ist, kenntlich machen:

Kants Aufklärungsphilosophie postuliert die Moderne als „Zeitalter der Kritik“ (KrV, A XI). Wenn man dagegen die Postmoderne das Zeitalter der Destruktion von Kritik nennte, entspricht das ziemlich genau den Selbstauskünften ihrer zentralen Stichwortgeber, allen voran Martin Heideggers. Der Lesekreis möchte also all diejenigen ansprechen, die der Destruktion von Vernunft und Aufklärung, wie sie gegenwärtig ganz praktisch sich vollzieht, mit Argumenten begegnen wollen. Kritische Theorie im Geiste von Marx, Adorno und Horkheimer gründet – willentlich oder nicht – auf zentralen Einsichten von Kant, denn die philosophischen Voraussetzungen der Kritik sind bei ihm explizit thematisch. Dies zu erinnern, ist eminenter Bestandteil kritischer Theorie, wenngleich es nicht heißen kann, bei Kant einfach stehenzubleiben. Es geht also um die Reflexion des philosophischen Erbes in der wissenschaftlich begründeten Gesellschaftskritik, das neben der Hegelschen eben auch in der Kantischen Philosophie und ihrem moralisch fundierten Begriff von Wissenschaft besteht.

Johannes Bruns, Michael Heidemann

Kontaktadresse bei Interesse: gi-arbeitskreis-bremengmx.de